Digitalelektronik für Physiker, SS 2000 RWTH Aachen (Dr. Harm Fesefeldt)
Inhalt
I. Ereignisalgebra und Boolsche Logik.
II. Rechnerarithmetik und Addierwerke.
III. Flip- Flops.
IV. Zählerschaltungen.
Vorausschau auf das nächste Semester:
V. KV- Tafeln.
VI. Rechenanlagen.
VII. AD- und DA- Wandler.
VIII. Messwertaufnehmer.
Der Amerikaner Boole leitete die Ereignisalgebra aus der symbolischen Logik ab. Daher wird die Ereignisalgebra auch als Boolsche Algebra bezeichnet. Eine Weiterentwicklung stellt die von Shannon entwickelte Schaltalgebra dar. Die Schaltalgebra ist ein Spezialfall der Ereignisalgebra. Beide können daher gemeinsam behandelt werden, was wir im folgenden auch tun werden.
Grundverknüpfungen
Von einer Funktion oder Verknüpfung sprechen wir bekanntlich, wenn der
Wert der Ausgangsgrößen in ganz bestimmter Weise von dem Wert der
Eingangsgrößen abhängt. Da der Wert einer binären Variblen nur
zwei Werte annehmen kann, sprechen wir im folgenden statt vom Wert einer
Variablen auch vom Zustand einer Variablen. In der Ereignisalgebra und in
der Schaltalgebra läßt sich jeder logische Zusammenhang zwischen
binären Variablen mit Hilfe von 3 logischen Grundfunktionen beschreiben:
Die NOT Verknüpfung (Negation oder auch Inversion) ist eine logische
Funktion mit nur einer binären Variablen. Sie bewirkt daß die
Ausgangsvariable stets den entgegengesetzten Zustand der Eingangsvariablen
annimmt. Wir definieren:
Die NOT Verknüpfung hat die Eigenschaft, den Zustand einer binären
Variablen stets umzukehren (zu negieren, zu invertieren).
Wir schreiben:
(1) |
Abbildung 1: Funktionstabelle, Symbol der Schaltalgebra und Venn- Diagramm der NOT- Verknüpfung.
Für die Anwendung in der Schaltalgebra bedeutet dieses also, daß am
Ausgang Y eine Spannung anliegt, wenn am Eingang X keine Spannung
anliegt, und umgekehrt. In der Ereignisalgebra sagen wir, daß das
Ereignis Y eingetreten ist, wenn das Ereignis X nicht eingetreten ist,
und umgekehrt. Wir sehen an diesem Beispiel bereits, daß die rechnerische
Formel und die Funktionstabelle unabhängig von der speziellen Anwendung,
in unserem Fall von der Ereignisalgebra oder der Schaltalgebra, sind,
während Schaltzeichen und Venn- Diagramm auf die speziellen Anwendungen
zugeschnitten sind. Zweifache Anwendungen der Negation auf ein und
dieselbe Größe kann weggelassen werden:
(2) | |||
(3) |
Die AND Verknüpfung (Konjunktion) ist eine logische Funktion mit
mindestens 2 binären Eingangsvariablen , , ....,.
Wir definieren:
Eine AND Verknüpfung liefert nur dann den logischen Wert 1, wenn alle
Eingangsvariablen ebenfalls eine logische 1 aufweisen.
Sobald also nur eine Eingangsvariable den Wert 0 hat, liefert die AND
Verknüpfung den Wert 0. Wir schreiben:
(4) |
Abbildung 2: Funktionstabelle, Symbol der Schaltalgebra und Venn- Diagramm der AND- Verknüpfung.
In der Sprache der Ereignisalgebra sagen wir, daß das Ereignis eingetreten ist, genau dann, wenn die Ereignisse und beide eingetreten sind. Bei der digitalen AND Schaltung liegt genau dann am Ausgang eine Spannung an, wenn alle Eingänge unter Spannung stehen.
Die OR Verknüpfung (Disjunktion) ist eine logische Funktion mit mindestens
2 binären Eingangsvariablen und einer binären Ausgangsvariablen Y.
Es gilt die Definition:
Eine OR Verknüpfung liefert bereits dann am Ausgang eine logische 1, sobald
nur eine Eingangsvariable den logischen Wert 1 annimmt.
Es erscheint also am Ausgang eine Null, dann und nur dann, wenn alle
Eingänge gleichzeitig im Nullzustand sind. Wir schreiben:
(5) |
Abbildung 3: Funktionstabelle, Schaltalgebra und Darstellung im Venn- Diagramm der OR- Verknüpfung.
In der Sprache der Ereignisalgebra sagen wir, daß das Ereignis Y eingetreten ist, wenn oder eingetreten ist, oder auch wenn beide eingetreten sind. Die Schaltzeichen für die AND und OR Verknüpfung bei n Eingangsvariablen sind in Abbildung 4 aufgeführt.
Abbildung 4: Schaltzeichen für die AND- und OR- Verknüpfungen bei n Eingangsvariablen.
Ereignisraum
Wir kommen jetzt noch einmal auf den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen
im vorherigen Kapitel zurück, nämlich auf die Darstellung des Ereignisraumes.
Ist , , ...., ein System von Ereignissen eines
Versuches, sind ferner die paarweise unvereinbar,
(6) |
(7) |
(8) |
Andere Schreibweisen
Man findet in der Literatur für die Grundoperationen andere Schreibweisen
(DIN Norm 66000):
Wir bleiben in unserem Tutorial bei den alten Schaltzeichen, graphisch sind sie auf jeden Fall
schöner und in der Physik auch noch weit verbreitet.
Dualität
Die AND Verknüpfung
Ebenso folgt aus
Abbildung 5: Schaltzeichen der in der Digitaltechnik verwendeten NAND- und NOR- Verknüpfungen.
Rechenregeln
Die folgenden Rechenregeln kann man sich leicht an Hand einer
Funktionstabelle oder mit Hilfe von Venn- Diagrammen klar machen.
Erweiterung:
(9) | |||
(10) |
(11) | |||
(12) |
(13) | |||
(14) |
(15) | |||
(16) |
(17) | |||
(18) |
(19) |
(20) | |||
(21) |
Rechenbeispiel
Wir betrachten die logische Gleichung
(22) |
Die Frage ist nun, kann man die logische Gleichung (22) auch einfacher
schreiben, bzw. kann man den Schaltplan vereinfachen? Wir erweitern
zunächst mit einem der auftretenden Klammerausdrücke,
(23) |
Dieses Beispiel soll im folgenden Applet noch einmal erläutert werden. Mit NOT, AND und OR Elementen ist hierbei die Funktion (22) realisiert. Im unteren Teil des Appletfensters ist die Schaltung zur Gleichung (23) gezeigt. In diesem Applet können Sie beliebige Schaltungen mit den Schaltelementen des Menus auf der linken Seite entwickeln. Ziehen Sie dazu einfach mit der Maus das Element vom Menu in das Appletfenster hinein. Umgekehrt können Sie ein Element aus der Schaltung entfernen, wenn es wieder in das Menu zurückgezogen wird. Alternativ können Sie auch das Element anklicken und dann mit der Schere entfernen. Die Verbindung zwischen zwei Elementen kann durch Anklicken der gelben Lötstellen entfernt werden. Im oberen Menu ist ausser der Schere noch eine Diskette zum Abspeichern der Schaltung, sowie ein Ordner zum Laden einer Schaltung. Mit dem leeren Blatt ganz links können Sie das Appletfenster löschen.
Allgemeine Funktionstabelle.
Betrachten wir ganz allgemein ein logisches System mit n Eingangsvariablen
, , ...., . Wieviel verschiedene logische Funktionen
sind nun bei den n Eingangsvariablen überhaupt möglich?
Wir konstruieren uns für 2 Eingangsvariable das Bitmuster aller möglichen Eingangs- und Ausgangskombinationen und schreiben dieses nicht wie bisher nebeneinander, sondern untereinander. Wir erhalten dann die allgemeinste Funktionstabelle in Tabelle 2.
Eingangsvariable | 0 | 1 | 0 | 1 | Verknüpfung mit | |
0 | 0 | 1 | 1 | AND, OR und NOT | ||
Ausgangsvariable | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | |
0 | 0 | 0 | 1 | |||
0 | 0 | 1 | 0 | |||
0 | 0 | 1 | 1 | |||
0 | 1 | 0 | 0 | |||
0 | 1 | 0 | 1 | |||
0 | 1 | 1 | 0 | |||
0 | 1 | 1 | 1 | |||
1 | 0 | 0 | 0 | |||
1 | 0 | 0 | 1 | |||
1 | 0 | 1 | 0 | |||
1 | 0 | 1 | 1 | |||
1 | 1 | 0 | 0 | |||
1 | 1 | 0 | 1 | |||
1 | 1 | 1 | 0 | |||
1 | 1 | 1 | 1 | 1 |
Es ergeben sich 16 logische Verknüpfungen. Dieses Ergebnis läßt sich
verallgemeinern:
Bei n Eingangsvariablen , , ...., können
verschiedene logische Verknüpfungen gebildet werden. Jede Ausgangsfunktion
besteht aus einem Bitmuster von binären Zeichen.
Die in der Tabelle vorkommenden Ausdrücke
und
hatten wir bei der Diskussion der Dualität bereits
als NAND und NOR Verknüpfung identifiziert. Wir sehen aus der Tabelle,
daß alle Funktionen ausschließlich mit NOT, AND und OR Verknüpfungen
gebildet werden konnten. Das Verknüpfungsgesetz selbst kann man bei
2 Eingangsvariablen noch relativ leicht aus dem Bitmuster ,,erraten''.
Bei mehreren Eingangsvariablen kann das dagegen eine mühsame Aufgabe
werden. Insbesondere wollten wir ja die Formel finden, die einen
geforderten Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsvariablen mit der
geringsten Zahl von Grundverknüpfungen erfüllt. Wir hatten ein derartiges
Verfahren oben in unserem Rechenbeispiel schon durch Rechnen und Probieren
geübt. Ein systematisches Verfahren wurde von Karnaugh und Veitch entwikelt
(KV Tafeln). Einer Diskussion dieser Methode werden wir uns in einem anderen Tutorial
widmen.
Normalformen
Wir definieren zunächst zwei Begriffe:
Ein Minterm oder Vollkonjunktion ist die AND Verknüpfung aller
vorkommenden Variablen. Ein Maxterm oder Volldisjunktion ist die OR
Verknüpfung aller vorkommenden Variablen.
Mit Hilfe dieser Begriffe kann man eine vorgegebene Funktionstabelle durch
die sogenannte Normalform beschreiben. Wir definieren:
In der disjunktiven Normalform
(24) |
(25) |
Die disjunktive Normalform ist
Wir bezeichnen diese Tabelle als die Minterm- bzw. Maxterm- Tabelle. Man sieht sofort daß die AND Verknüpfung von 2 beliebigen Mintermen den Wert 0 ergibt, was wir als paarweise unvereinbar definiert hatten. Ebenso liefert die OR Verknüpfung beliebiger Maxterme den Wert 0.
Übungen
Aufgabe 1:
Vereinfachen Sie die Gleichung