Komplexe Funktionen
Komplexe Zahlen
Die formale Definition der imaginären Einheit $i$ mit Hilfe der Definition
\begin{displaymath}
i^{2} = -1 \; \; \; \; oder \; \; \; \; i= \sqrt{-1}
\end{displaymath} (1)

führt zu einer Erweiterung des Zahlenbegriffs, zu den komplexen Zahlen. Mit Hilfe dieser Definition können wir die Wurzeln der algebraischen Gleichung

\begin{displaymath}
x^{2} + x + 1 = 0
\end{displaymath}

angeben zu

\begin{displaymath}
x_{1,2} = - \frac{1}{2} \pm \frac{i}{2} \sqrt{3} .
\end{displaymath}

Eine komplexe Zahl besitzt die allgemeine Form
\begin{displaymath}
z = x + i y .
\end{displaymath} (2)

$x$ nennt man den Realteil, $y$ den Imaginärteil von $z$ und schreibt
\begin{displaymath}
x = Re \{ z \}, \; \; \; \; \; y = Im \{ z \} .
\end{displaymath} (3)

Man veranschaulicht komplexe Zahlen durch Punkte in der Gaußschen Zahlenebene (siehe Abb.1).


Abbildung 1: Darstellung einer komplexen Zahl in der Ebene.

Der Betrag der komplexen Zahl ist

\begin{displaymath}
\vert z\vert = \sqrt{x^{2} + y^{2}} ,
\end{displaymath} (4)

sodaß wir $z$ auch in der trigonometrischen Form
\begin{displaymath}
z = \vert z\vert (cos\varphi + i sin\varphi )
\end{displaymath} (5)

schreiben können. Den Winkel $\varphi$ nennt man das Argument der komplexen Zahl $z$. Aus den Reihenentwicklungen für $e^{i \varphi}$, $sin\varphi$ und $cos\varphi$ kann man die Eulersche Formel
\begin{displaymath}
e^{i \varphi} = cos\varphi + i sin\varphi
\end{displaymath} (6)

herleiten. Daraus folgt die Exponentialform der komplexen Zahlen
\begin{displaymath}
z = \vert z\vert e^{i \varphi} .
\end{displaymath} (7)

Aus der trigonometrischen Darstellung ersieht man, daß das Argument $\varphi$ nicht eindeutig ist. Für eine gegebene komplexe Zahl besitzt das Argument unendlich viele Werte. Unter dem Hauptwert des Arguments versteht man den Wert zwischen $-\pi$ und $+\pi$.

Grundoperationen. Die Grundoperationen können aus den Grundoperationen der Real- und Imaginärteile hergeleitet werden.

$\displaystyle z_{1} \pm z_{2}$ $\textstyle =$ $\displaystyle (x_{1} \pm x_{2}) + i (y_{1} \pm y_{2})$ (8)
$\displaystyle z_{1} z_{2}$ $\textstyle =$ $\displaystyle (x_{1}x_{2} - y_{1}y_{2}) + i (x_{1}y_{2} + x_{2}y_{1})$ (9)
$\displaystyle \frac{z_{1}}{z_{2}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{x_{1}x_{2}+y_{1}y_{2}}{x_{2}^{2}+y_{2}^{2}}
+ i \frac{x_{2}y_{1}-x_{1}y_{2}}{x_{2}^{2}+y_{2}^{2}}$ (10)

Bei der Multiplikation und Division wählt man besser die Exponentialform:
$\displaystyle z_{1} z_{2}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \vert z_{1}\vert \vert z_{2}\vert e^{i(\varphi_{1} + \varphi_{2})}$ (11)
$\displaystyle \frac{z_{1}}{z_{2}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{\vert z_{1}\vert}{\vert z_{2}\vert} e^{i(\varphi_{1} - \varphi_{2})} .$ (12)

Die Rechenregeln für komplexe Zahlen sind so definiert, daß alle vom Rechnen mit reellen Zahlen her bekannten Regeln und Relationen (Kommutativität, Distributivität, u.s.w.) erhalten bleiben. Lediglich die Ordnungsrelationen ( $>, <, \geq, \leq$) haben für komplexe Zahlen selbst keine Bedeutung, sondern nur für die Beträge der komplexen Zahlen. Die wichtigsten Ungleichungen seien im folgenden zusammengestellt.
$\displaystyle \vert z_{1} + z_{2} \vert$ $\textstyle \leq$ $\displaystyle \vert z_{1}\vert + \vert z_{2}\vert$ (13)
$\displaystyle \vert z_{1} - z_{2} \vert$ $\textstyle \geq$ $\displaystyle \left\vert \vert z_{1}\vert - \vert z_{2}\vert \right\vert$ (14)

Die zu $z=x+iy$ konjugiert komplexe Zahl $z^{\ast}$ ist durch
\begin{displaymath}
z^{\ast} = x - iy
\end{displaymath} (15)

gegeben. Die folgenden einfachen Rechenregeln lassen sich leicht nachrechnen.

\begin{displaymath}\begin{array}{rcl}
z z^{\ast} &=& \vert z\vert^{2} \\
z + z^...
...ght)^{\ast} &=&
\frac{z_{1}^{\ast}}{z_{2}^{\ast}}
\end{array} \end{displaymath}

Gebiete und Wege
Irgendeine Teilmenge der komplexen Zahlenebene heißt ein Gebiet G. Die Punkte auf dem Rand gehören nicht mit zum Gebiet. Daher sagt man spezieller offenes Gebiet oder nicht abgeschlossenes Gebiet. Bei einem abgeschlossenen Gebiet dagegen zählt der Rand mit zum Gebiet. Gebiete können beschränkt oder unbeschränkt sein, je nachdem ob die Zahl $z= \infty$ mit zum Gebiet zählt oder nicht. Mathematisch exakter ausgedrückt sagt man, ein Gebiet ist beschränkt, wenn sich eine (reelle) Zahl $R$ angeben läßt, sodaß

\begin{displaymath}
\vert z\vert \leq R \; \; \; \; \forall z \in G.
\end{displaymath}

Gebiete können einfach oder mehrfach zusammenhängend sein, je nachdem wie groß die Anzahl der geschlossenen Ränder des Gebietes ist (siehe Abb.2).


Abbildung 2: Einfach- und zweifach zusammenhängendes Gebiet.

Einen Weg in der komplexen Zahlenebene kann man durch die Parameterdarstellung

\begin{displaymath}
z(t) = x(t) + iy(t), \; \; \; t \in [t_{1}.t_{2}], \; \; t \in R,
\end{displaymath} (16)

beschreiben. Alle auf einem Kreis liegenden Zahlen $z$ kann man durch die Gleichung

\begin{displaymath}
z(\varphi) = z_{0} + r e^{i \varphi} = (x_{0} + r cos\varphi) + i (y_{0}+rsin\varphi)
\end{displaymath}

beschreiben. Hierbei ist $z_{0} = x_{0}+i y_{0}$ der Mittelpunkt und $r$ der Radius des Kreises.

Geraden, parallel zur $x$- bzw $y$- Achse, werden durch

\begin{displaymath}\begin{array}{lll}
z(t) &=& x(t) + i y_{0} \\ z(t) &=& x_{0} + i y(t) \end{array} \; \; \}
-\infty < t < \infty
\end{displaymath}

beschrieben. Hierin sind die rein reellen und rein imaginären Zahlen mit $y_{0}=0$ bzw $x_{0}=0$ enthalten.

Funktionen
Ähnlich wie in der reellen Analysis durch eine Funktion einem $x$- Wert ein bestimmter $y$- Wert zugeordnet wird, $y=f(x)$, so definiert man im Komplexen eine Zuordnung einer komplexen $z$- Ebene auf eine komplexe $w$- Ebene. Jedem Punkt $z$ wird durch $w=f(z)$ eine Zahl $w$ zugeordnet (siehe Abb.3).


Abbildung 3: Darstellung einer komplexen Funktion in der z- und w- Ebene.

Man schreibt dieses auch häufig in der Form

\begin{displaymath}
w = f(z) = u(x,y) + i v(x,y) ,
\end{displaymath} (17)

wobei $w$ natürlich, wie auch $z$, einen Real- und Imaginärteil, nämlich $u$ und $v$, haben muß.

Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Funktion $f(z)$ im Punkte $z_{0}$ wird ähnlich wie im Reellen durch die Existenz der Grenzwerte

$\displaystyle \lim_{z \to z_{0}} f(z)$ $\textstyle =$ $\displaystyle f(z_{0})$ (18)
$\displaystyle \lim_{z \to z_{0}} \frac{f(z)-f(z_{0})}{z - z_{0}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle f'(z_{0})$ (19)

erklärt. Wie im Reellen gelten die Differentiationsregeln
$\displaystyle [f_{1}(z) f_{2}(z)]'$ $\textstyle =$ $\displaystyle f_{1}'(z) f_{2}(z) + f_{1}(z) f_{2}'(z)$ (20)
$\displaystyle \lbrack \frac{f_{1}(z)}{f_{2}(z)} \rbrack'$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{f_{1}'(z) f_{2}(z) - f_{1}(z) f_{2}'(z)}{f_{2}^{2}(z)}$ (21)

Existiert $f'(z)$ für alle $z$ aus einem Gebiet G, so heißt $f(z)$ in G regulär, analytisch oder holomorph. Solche Punkte $z_{\nu}$, an denen $f'(z)$ nicht existiert, nennt man singuläre Stellen. Es kann natürlich vorkommen, daß $f(z)$ in einem ganzen Gebiet nicht regulär ist. Mit solchen Funktionen werden wir uns aber nicht beschäftigen. Die in unseren Anwendungen vorkommenden Funktionen sind in der gesamten Zahlenebene regulär, bis auf endlich oder unenedlich viele singuläre Punkte.

Die Grenzwerte (18) und (19) müssen für alle möglichen, unendlich vielen, Annäherungen des Punktes $z$ nach $z_{0}$ existieren und identisch gleich sein. Diese Forderung führt zu einer starken Verschärfung des Differentiationsbegriffes in der komplexen Ebene verglichen mit der auf der reellen Zahlengeraden. Wir diskutieren die Grenzwerte auf zwei Wegen, nämlich Weg I parallel zur reellen Achse und Weg II parallel zur imaginären Achse (siehe Abb.4).


Abbildung 4: Zur Ableitung der Cauchy Riemannschen Differentialgleichung.

Auf Weg I ist $y=y_{0}$ und somit

\begin{displaymath}
\lim_{z \to z_{0}} \frac{f(z)-f(z_{0})}{z - z_{0}} = \lim_{x...
...frac{\partial u}{\partial x} + i \frac{\partial v}{\partial x}
\end{displaymath}

Auf Weg II gilt entsprechend mit $x=x_{0}$

\begin{displaymath}
\lim_{z \to z_{0}} \frac{f(z)-f(z_{0})}{z-z_{0}} = \lim_{y \...
...tial u}{\partial y}
+i \frac{\partial v}{\partial y} \right) .
\end{displaymath}

Beide Grenzwerte müssen identisch gleich sein. Da auch Real- und Imaginärteil getrennt gleich sein müssen, gelten die wichtigen Cauchy- Riemannschen Differentialgleichungen
$\displaystyle \frac{\partial u}{\partial x}$ $\textstyle =$ $\displaystyle + \frac{\partial v}{\partial y}$ (22)
$\displaystyle \frac{\partial v}{\partial x}$ $\textstyle =$ $\displaystyle - \frac{\partial u}{\partial y}$ (23)

Nur und nur dann, wenn diese Gleichungen erfüllt sind, ist die Funktion $f(z)= u + iv$ regulär. Oder, anders ausgedrückt, wenn einer der beiden, Realteil $u$ oder Imaginärteil $v$, bekannt sind, läßt sich der andere Teil daraus berechnen.

Differenziert man die Cauchy- Riemannschen Differentialgleichungen ein zweites mal (die Existenz der Ableitungen vorausgesetzt), so erhält man die Laplaceschen Differentialgleichungen

$\displaystyle \frac{\partial^{2} u}{\partial x^{2}} + \frac{\partial^{2} u}{\partial y^{2}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 0$ (24)
$\displaystyle \frac{\partial^{2} v}{\partial x^{2}} + \frac{\partial^{2} v}{\partial y^{2}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 0$ (25)

Wie wir später noch ausführen werden, folgt aus der Existenz der ersten Ableitung $f'(z)$ bereits die Existenz aller höheren Ableitungen $f^{(n)}(z)$. Daher sind die Laplaceschen Differentialgleichungen weitere notwendige Bedingungen, die $u$ und $v$ getrennt erfüllen müssen, um Real- und Imaginärteil einer regulären Funktion sein zu können. Eine Lösung der Laplaceschen Differentialgleichung heißt harmonische Funktion. Mit dieser Definition gilt: Real- und Imaginärteil einer regulären Funktion $f(z)$ sind harmonische Funktionen. Unter einer ganzen Funktion versteht man eine Funktion, die, abgesehen von einer Singularität im Unendlichen, in der ganzen $z$- Ebene regulär ist.

Im folgenden sollen die für die Anwendungen wichtigsten Funktionen kurz erläutert werden. Es sind dieses die ganzen rationalen Funktionen, die gebrochenen rationalen Funktionen, die Potenz- und Wurzelfunktion, die Exponentialfunktion sowie die trigonometrischen Funktionen.

Ganze rationale Funktionen.
Die ganzen rationalen Funktionen oder Polynome

\begin{displaymath}
f(z)=a_{0}+a_{1}z+ ..... + a_{n}z^{n} = \sum_{\nu=0}^{n} a_{\nu} z^{\nu}
\end{displaymath} (26)

sind in der ganzen $z$- Ebene regulär und daher beliebig oft differenzierbar. Offensichtlich ist sogar

\begin{displaymath}
f^{(m)}(z) = 0 \; \; \; \; \; \forall m > n.
\end{displaymath}

Ein Wert $z=z_{1}$, für den $f(z)$ verschwindet, also den Wert $f(z_{1})=0$ annimmt, heißt Nullstelle von $f(z)$. Ein Polynom $n$-ter Ordnung hat genau $n$ Nullstellen $z_{1},z_{2},...,z_{n}$. Daher kann man Polynome auch in der Produktform
\begin{displaymath}
f(z)=a(z-z_{1})(z-z_{2}) \cdot \cdot \cdot (z-z_{n})
\end{displaymath} (27)

schreiben. Die Nullstellen $z_{\nu}$ brauchen nicht alle verschieden zu sein. Allgemeiner kann eine Nullstelle mehrfach ($k$-fach) auftreten, d.h. von der Ordnung $k$ sein. Hat also das Polynom $f(z)$ $m$ verschiedene Nullstellen mit den Ordnungen $k_{1},k_{2},...,k_{m}$, so können wir auch schreiben
\begin{displaymath}
f(z) = a (z-z_{1})^{k_{1}} (z-z_{2})^{k_{2}} \cdot \cdot \cdot
(z-z_{m})^{k_{m}} .
\end{displaymath} (28)

Durch ihre Nullstellen und deren Ordnung ist eine ganze rationale Funktion also bis auf einen konstanten Faktor vollständig festgelegt. Man charakterisiert daher ganze rationale Funktionen durch das sogenannte Nullstellendiagramm (Abb.5).


Abbildung 5: Nullstellen Diagramm einer ganzen rationalen Funktion.

Hierbei werden die Nullstellen in der komplexen Ebene mit Hilfe kleiner Kreise (Nullen) eingezeichnet und deren Ordnungen in Klammern beigefügt.

Gebrochene rationale Funktionen.
Gebrochene rationale Funktionen

\begin{displaymath}
f(z) = \frac{a_{0}+a_{1}z+ ....+ a_{n}z^{n}}{b_{0}+b_{1}z+ ....+ b_{m}z^{m}}
\end{displaymath} (29)

können ähnlich wie ganze rationale Funktionen charakterisiert werden. Man muß nur die Nullstellen vom Zähler- und Nennerpolynom getrennt bestimmen und erhält die Produktform
\begin{displaymath}
f(z) = a
\frac{(z-z_{1})^{k_{1}} (z-z_{2})^{k_{2}} \cdot \c...
...}'} (z-z_{2}')^{k_{2}'} \cdot \cdot \cdot (z-z_{j}')^{k_{j}'}}
\end{displaymath} (30)

Hierbei sind also $k_{1},k_{2},...,k_{l}$ die Ordnungen der $l$ verschiedenen Nullstellen $z_{1},z_{2},...,z_{l}$ des Zählerpolynoms und $k_{1}',k_{2}',...,k_{j}'$ die Ordnungen der $j$ Nullstellen $z_{1}',z_{2}',...,z_{j}'$ des Nennerpolynoms. Die Nullstellen des Nennerpolynoms sind nun aber singuläre Stellen der Funktion $f(z)$. Man nennt daher eine $k_{j}'$-fache Nullstelle des Nennerpolynoms einen Pol $k_{j}'$-facher Ordnung der Funktion $f(z)$. Das Pol- Nullstellen- Diagramm ist genauso wie für ganze rationale Funktionen definiert, nur daß zusätzlich die Pole durch kleine Kreuze gekennzeichnet werden (Abb.6).


Abbildung 6: Pol- Nullstellen Diagramm einer rationalen Funktion.

Vorsicht ist geboten, wenn eine Nullstelle $z_{0}$ des Nennerpolynoms gleich einer Nullstelle $z_{0}$ des Zählerpolynoms ist. In diesem Fall entspricht das Verhalten der Funktion $f(z)$ für $z \to z_{0}$ dem der Funktion

\begin{displaymath}
\frac{(z-z_{0})^{k_{0}}}{(z-z_{0})^{k_{0}'}} = (z-z_{0})^{k_{0}-k_{0}'},
\end{displaymath}

wobei $k_{0}$ und $k_{0}'$ die Ordnungen der gemeinsamen Nullstelle $z_{0}$ vom Zähler- und Nennerpolynom sind. Ist also $k_{0}>k_{0}'$, so hat $f(z)$ in $z_{0}$ eine Nullstelle der Ordnung $k_{0}-k_{0}'$, ist umgekehrt $k_{0}<k_{0}'$, so hat f(z) einen Pol der Ordnung $k_{0}'-k_{0}$. Ist $k_{0}=k_{0}'$, so ist die Funktion $f(z)$ in $z_{0}$ ungleich 0 und regulär. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die nützliche Regel von L'Hopital, die man in der Form
\begin{displaymath}
\lim_{z \to z_{0}} \frac{f(z)}{g(z)} = \lim_{z \to z_{0}} \frac{f'(z)}{g'(z)}
\end{displaymath} (31)

schreiben kann. Diese Formel erlaubt die Untersuchung des Grenzwertverhaltens von Quotienten beliebiger Funktionen $f(z)$ und $g(z)$.

Von Interesse ist noch das Verhalten der Funktion $f(z)$ im Unendlichen. Der Funktion $f(z)$ wird für $z \to \infty$ das Verhalten zugeordnet, daß die Funktion $f(\frac{1}{z})$ für $z \to 0$ zeigt. Danach können ganze rationale Funktionen wie auch gebrochene rationale Funktionen im Unendlichen regulär sein, einen mehrfachen Pol oder eine mehrfache Nullstelle besitzen.

Die Funktion

\begin{displaymath}
f(z) = \frac{3z}{(z-4)^{2}}
\end{displaymath}

hat in $z= \infty$ eine einfache Nullstelle, da

\begin{displaymath}
f(\frac{1}{z}) = \frac{3/z}{(1/z - 4)^{2}} = \frac{3z}{(1-4z)^{2}}
\end{displaymath}

und die Funktion

\begin{displaymath}
f(z) = 3 (z+i) z^{2}
\end{displaymath}

in $z \to \infty$ einen dreifachen Pol, da

\begin{displaymath}
f(\frac{1}{z}) = 3 (\frac{1}{z}+i) \frac{1}{z^{2}} = \frac{3(1+iz)}{z^{3}}.
\end{displaymath}

Potenz- und Wurzelfunktion.
Die mehrfache Multiplikation ein und derselben Zahl $z$ führt zur Potenzfunktion,

\begin{displaymath}
w = z^{n} = \vert z\vert^{n} e^{i n \varphi} = \vert w\vert e^{i n \varphi}
\end{displaymath}

Dieses ist offensichtlich eine spezielle ganze rationale Funktion. Die Umkehrung dieser Fragestellung, nämlich die Zahl $z$, deren $n$-te Potenz die Zahl $w=z^{n}$ ergibt, führt auf den Begriff der Wurzel,

\begin{displaymath}
z = \root{n}\of{w} = \root{n}\of{\vert w\vert} e^{i \varphi/n} .
\end{displaymath}

Wie wir am Anfang dieses Kapitels bereits ausgeführt haben, ist die Exponentialfunktion nicht eindeutig, vielmehr ergeben sich $n$ Lösungen
\begin{displaymath}
z_{\nu} = \root{n}\of{w} = \root{n}\of{\vert w\vert} e^{i(\varphi + 2 \nu \pi)/n}, \; \;
\; \; \nu=0,1,2,...,n-1,
\end{displaymath} (32)

deren $n$-te Potenz alle die Zahl $w$ ergeben.

Exponentialfunktion und trigonometrische Funktionen.
Die Exponentialfunktion ist mittels der Reihenentwicklung

\begin{displaymath}
f(z) = e^{z} = \sum_{n=0}^{\infty} \frac{z^{n}}{n!}
\end{displaymath} (33)

definiert. Diese Funktion ist in der gesamten $z$- Ebene (bis auf $z= \infty$) regulär und nullstellenfrei. Mit Hilfe der Eulerschen Formel ergibt sich
\begin{displaymath}
e^{z} = e^{x+iy} = e^{x} (cos y + i sin y ).
\end{displaymath} (34)

Damit läßt sich also die komplexe Funktion $e^{z}$ mit Hilfe der reellen Funktionen $e^{x}$, $cos y$ und $sin y$ schreiben. Man bestätigt leicht die folgenden Regeln

\begin{displaymath}\begin{array}{rcl}
e^{z_{1} + z_{2}} &=& e^{z_{1}} e^{z_{2}} ...
...z + i 2 \nu \pi}, \; \; \; \nu=0, \pm 1, \pm 2,...
\end{array} \end{displaymath}

Die letzte Formel zeigt, daß die Funktion $e^{z}$ periodisch auf Parallelen zur reellen Achse ist.

Die trigonometrischen Funktionen werden über die Relationen

$\displaystyle cos z$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{2} ( e^{iz} + e^{-iz})$ (35)
$\displaystyle sin z$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{2i} (e^{iz} - e^{-iz})$ (36)
$\displaystyle cosh z$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{2} (e^{z} + e^{-z})$ (37)
$\displaystyle sinh z$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{2} (e^{z} - e^{-z})$ (38)

definiert. Alle diese Funktionen besitzen eine singuläre Stelle im Unendlichen und sind sonst regulär. Die Funktionen $cosh z$ und $sinh z$ besitzen auf der imaginären Achse unendlich viele Nullstellen in äquidistanten Abständen, während die Funktionen $sin z$ und $cos z$ außer den bekannten Nullstellen auf der reellen Achse keine weiteren Nullstellen besitzen. Die hieraus abgeleiteten Funktionen $tg z$ und $cotg z$ werden wie im Reellen durch die Quotienten von $sin z$ und $cos z$ ausgedrückt. Diese Funktionen besitzen daher Pole auf der reellen Achse. Die Ordnung dieser Pole werden wir später diskutieren.

Linienintegral
Gegeben sei ein Weg $W$ in der komplexen Ebene, dargestellt in der Parameterform

\begin{displaymath}
z(t) = x(t) + i y(t), \; \; \; t_{1} \leq t \leq t_{2}, \; \; \;
z_{1} = z(t_{1}), z_{2} = z(t_{2}).
\end{displaymath}


Abbildung 7: Integral in der komplexen Ebene.

Das Linienintegral von $f(z)$ längs des Weges $W$ ist dann definiert als

\begin{displaymath}
\int_{z_{1}}^{z_{2}} dz f(z) = \int_{t_{1}}^{t_{2}} dt \dot{...
...\dot{y} v)
+ i \int_{t_{1}}^{t_{2}} dt (\dot{y} u + \dot{x} v)
\end{displaymath} (39)

mit

\begin{displaymath}
\dot{z} = \frac{dz}{dt} = \frac{dx}{dt} + i \frac{dy}{dt} = \dot{x} + i \dot{y}.
\end{displaymath}

Da das Integral in der komplexen $z$- Ebene auf zwei reelle Integrale zurückgeführt wurde, gelten formal die gleichen Regeln wie im Reellen:

$\displaystyle \int dz (f_{1}(z) + f_{2}(z))$ $\textstyle =$ $\displaystyle \int dz f_{1}(z) + \int dz f_{2}(z)$ (40)
$\displaystyle \int dz k f(z)$ $\textstyle =$ $\displaystyle k \int dz f(z)$ (41)
$\displaystyle \int_{z_{1}}^{z_{2}} dz f(z)$ $\textstyle =$ $\displaystyle - \int_{z_{2}}^{z_{1}} dz f(z)$ (42)

Handelt es sich bei dem Weg um einen vollständigen Kreis mit dem Radius $r$ und dem Mittelpunkt $z_{0} = x_{0}+i y_{0}$ (der Parameter $t$ ist durch $\varphi$ ersetzt),

\begin{displaymath}
z(\varphi) = z_{0} + r e^{i\varphi}, \; \; \; 0 \leq \varphi \leq 2 \pi ,
\end{displaymath}

so ergibt sich das Linienintegral

\begin{displaymath}
\oint dz f(z) = \int_{0}^{2\pi} d\varphi f(z_{0} + r e^{i\varphi}) r i e^{i\varphi}.
\end{displaymath}

Allgemeiner nennt man jedes Linienintegral über eine geschlossene Kurve ein Kreisintegral (Abb.8).


Abbildung 8: Integration auf einem Kreisweg.

Beispiel.
Sei speziell

\begin{displaymath}
f(z) = \frac{1}{(z-z_{0})^{n}} = \frac{1}{r^{n} e^{i n \varphi}}
\end{displaymath}

dann ergibt sich für das Kreisintegral um $z_{0}$ mit Radius $r$

\begin{displaymath}
\oint \frac{dz}{(z-z_{0})^{n}} = \frac{i}{r^{n-1}} \int_{0}^{2 \pi}
d\varphi e^{i(1-n) \varphi}
\end{displaymath}

oder
$\displaystyle \oint \frac{dz}{(z-z_{0})^{n}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 2 \pi i \; \; \; f''ur \; \; \; n=1$ (43)
$\displaystyle \oint \frac{dz}{(z-z_{0})^{n}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 0 \; \; \; \; \; f''ur \; \; \; n \neq 1$ (44)

Dieses deutet bereits eines der wichtigsten und bemerkenswertesten Ergebnisse der Funktionentheorie an. Das Kreisintegral der Funktion $(z-z_{0})^{-n}$ hängt nicht vom Radius $r$ und vom Kreismittelpunkt $z_{0}$ ab. Es ist für jeden Kreis und an jedem Ort der komplexen Ebene gleich groß. Offensichtlich kommt es hierbei noch nicht einmal darauf an, ob es wirklich ein Kreis ist. Die obige Aussage kann dahingehend verallgemeinert werden, daß es sich um einen geschlossenen Weg in der komplexen $z$- Ebene handeln muß. Es sind dieses besonders die Kreisintegrale, die uns im folgenden beschäftigen werden.

Hauptsatz der Funktionentheorie
Die Verallgemeinerung dieses Sachverhaltes wird im Hauptsatz der Funktionentheorie folgendermaßen formuliert:
Satz: Ist $f(z)$ in einem einfach zusammenhängenden Gebiet G regulär, dann ist

\begin{displaymath}
\int_{z_{1}}^{z_{2}} dz f(z)
\end{displaymath} (45)

unabhängig vom Weg W, der die beiden Punkte $z_{1}$ und $z_{2}$ verbindet, oder, was das gleiche ist, auf einem geschlossenen Weg gilt
\begin{displaymath}
\oint dz f(z) = 0.
\end{displaymath} (46)

Der geschlossene Weg muß dabei natürlich ganz in G liegen, er darf insbesondere keine singulären Stellen der Funktion $f(z)$ umschließen.


Abbildung 9: Zum Hauptsatz der Funktionentheorie.

Stammfunktion.
Gegeben sei eine Funktion $f(z)$, die in einem Gebiet $G$ regulär ist. Die Funktion

\begin{displaymath}
F(z) = \int_{z_{0}}^{z} dz' f(z')
\end{displaymath} (47)

ist dann, wie wir jetzt wissen, unabhängig von dem Weg von $z_{0}$ nach $z$, auf dem das Integral berechnet wird, wenn nur der Weg ganz in $G$ verläuft, einschließlich des Startwertes $z_{0}$. Wie man zeigen kann, ist $F(z)$ dann ebenfalls eine reguläre Funktion in $G$ und es gilt
\begin{displaymath}
F'(z) = f(z).
\end{displaymath} (48)

Man nennt $F(z)$ die Stammfunktion von $f(z)$. Ist $F(z)$ bekannt, kann das Integral über $f(z)$ von $z_{1}$ bis $z_{2}$ berechnet werden gemäß
\begin{displaymath}
\int_{z_{1}}^{z_{2}} dz f(z) = F(z_{1}) - F(z_{2}).
\end{displaymath} (49)

Folgerungen.
Ein wichtiges Beispiel für die Anwendungen des Hauptsatzes ist das folgende. Gegeben sei ein zweifach zusammenhängendes Gebiet G, in dem $f(z)$ regulär ist. In dem unschraffierten Bereich braucht $f(z)$ nicht regulär zu sein, es können dort singuläre Stellen liegen (Abb.10).


Abbildung 10: Folgerungen aus dem Hauptsatz der Funktionentheorie.

Für die Integrale auf den beiden geschlossenen Wegen $W_{1}$ und $W_{2}$ können wir zunächst nichts aussagen, da das Gebiet G nicht einfach zusammenhängend ist, wir den Hauptsatz also nicht anwenden können. Wir können $W_{1}$ und $W_{2}$ aber in zwei andere Kurven $W_{\alpha}$ und $W_{\beta}$ zerlegen, wie in der folgenden Skizze dargestellt (Abb.11).


Abbildung 11: Aufteilung des Integrationsweges.

Auf den beiden Verbindungswegen heben sich die Integrale offensichtlich gegenseitig auf, sodaß gilt

\begin{displaymath}
\oint_{W_{\alpha}} dz f(z) + \oint_{W_{\beta}} dz f(z)
= \oint_{W_{1}} dz f(z) - \oint_{W_{2}} dz f(z).
\end{displaymath}

Im Inneren der geschlossenen Wege $W_{\alpha}$ und $W_{\beta}$ ist $f(z)$ jedoch regulär, also nach dem Hauptsatz sind die beiden Integrale auf der linken Seite der Gleichung identisch gleich Null. Daher gilt auch
\begin{displaymath}
\oint_{W_{1}} dz f(z) = \oint_{W_{2}} dz f(z).
\end{displaymath} (50)

Der Wert des Integrals hängt also nicht von der speziellen Form des den singulären Innenbereiches umfassenden Weges ab.


Abbildung 12: Integration in einem mehrfach zusammenhängendem Gebiet.

Man kann diesen Sachverhalt noch verschärfen. Der Weg $W$ möge $n$ singuläre Bereiche (Stellen) einschließen, dann gilt:

\begin{displaymath}
\oint_{W} dz f(z) = \sum_{\nu=1}^{n} \oint_{W_{\nu}} dz f(z).
\end{displaymath} (51)

In einem mehrfach zusammenhängenden Gebiet G, in dem $f(z)$ regulär ist, hängt der Wert des auf einem geschlossenen Weg gebildeten Integrals $\oint dz f(z)$ nur davon ab, welche der singulären Bereiche (Stellen) vom Integrationsweg umschlossen werden (Abb. 12).

Integralformel von Cauchy.
Wir betrachten weiter das Integral

\begin{displaymath}
\oint dz \frac{f(z)}{z-z_{0}}.
\end{displaymath}

$f(z)$ sei im gesamten Gebiet G regulär. Die unterm Integral stehende Funktion hat dann einen einfachen Pol im Punkte $z_{0}$, dargestellt als Kreuz in der folgenden Skizze (Abb.13).


Abbildung 13: Zur Integralformel von Chauchy.

Wir bilden das Integral auf einem Kreis mit Radius $r$ um den Mittelpunkt $z_{0}$,

\begin{displaymath}
z(\varphi) = z_{0} + r e^{i\varphi},
\end{displaymath}


\begin{displaymath}
\oint dz \frac{f(z)}{z-z_{0}} = \int_{0}^{2\pi} d\varphi i r...
...varphi}}=\int_{0}^{2\pi} d\varphi
i f(z_{0} + re^{i\varphi}).
\end{displaymath}

Für $r \to 0$, also bei stetiger Verkleinerung des Kreisradius, erhalten wir

\begin{displaymath}
\oint_{r \to 0} dz \frac{f(z)}{z-z_{0}} = 2 \pi i f(z_{0}).
\end{displaymath}

Andererseits wissen wir aus Formel (50), daß der Wert des links stehenden Integrals nicht vom Radius des Kreises abhängt, wir können also allgemein schreiben:
\begin{displaymath}
f(z_{0}) = \frac{1}{2 \pi i} \oint dz \frac{f(z)}{z-z_{0}}.
\end{displaymath} (52)

Dieses ist wieder eine bemerkenswerte Formel, die wir noch kurz interpretieren wollen. Der Hauptinhalt liegt darin, daß sich mit ihrer Hilfe alle Funktionswerte $f(z_{0})$ im Innern einer geschlossenen Kurve berechnen lassen, wenn nur die Funktionswerte $f(z)$ auf der Kurve selbst bekannt sind.

Formel (52) kann in folgender Form verallgemeinert werden. Sei $f(z)$ eine bis auf endlich viele singuläre Stellen $z_{1},z_{2},...,z_{n}$ reguläre Funktion. Sei $f(z)$ insbesondere im Unendlichen für $z \to \infty$ regulär. Wir bilden das Integral

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{1}} dz \frac{f(z)}{z-z_{0}} ,
\end{displaymath}

wobei der Weg $K_{1}$ alle Singularitäten umschließt und $z_{0}$ jetzt aber, im Gegensatz zur normalen Integralformel von Cauchy, außerhalb des von $K_{1}$ gebildeten Ringebietes liegt.


Abbildung 14: Zur Integralformel von Chauchy.

Ein zweiter geschlossener Weg $K_{2}$ möge darüber hinaus auch noch $z_{0}$ einschließen. Wir schneiden das Ringgebiet in gewohnter Weise auf und bilden das Integral auf dem von $K_{1}$, $K_{2}$ und den beiden Verbindungslinien gebildeten Weges $W$. Für diesen Weg kann die Formel (52) angewendet werden, da $z_{0}$ jetzt innerhalb des geschlossenen Weges $W$ liegt, und $f(z)$ in diesem Gebiet regulär ist.

\begin{displaymath}
f(z_{0}) = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{W} dz \frac{f(z)}{z-z_{0}}.
\end{displaymath}

In bekannter Weise kann dieses Integral umgeschrieben werden zu

\begin{displaymath}
f(z_{0}) = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{1}} dz \frac{f(z)}{z-...
...}}
- \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{2}} dz \frac{f(z)}{z-z_{0}}.
\end{displaymath}

Das Kreisintegral über $K_{2}$ ist aber unabhängig vom Weg, siehe (51). Vergrößern wir den Radius $R_{2}$ dieses Weges bis nach $R_{2} \to \infty$, so verschwindet das Integral über $K_{2}$ wegen der Regularität von $f(z)$ für $z \to \infty$. Daher gilt
\begin{displaymath}
f(z_{0}) = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{1}} dz \frac{f(z)}{z-z_{0}}.
\end{displaymath} (53)

Die Integralformel von Cauchy gilt also auch für das Außengebiet eines geschlossenen Weges, wenn die Funktion $f(z)$ dort überall regulär ist, einschließlich $z= \infty$.

$n$-malige Differentiation liefert

\begin{displaymath}
f^{(n)}(z_{0}) = \frac{n!}{2 \pi i} \oint dz \frac{f(z)}{(z-z_{0})^{n+1}}.
\end{displaymath} (54)

Dieses ist der Beweis dafür, daß eine einmal differenzierbare Funktion beliebig oft differenzierbar ist.

Laurent- Reihe
Betrachten wir nun in der komplexen Ebene ein gewisses Gebiet um den Punkt $z_{0}$ herum. Wenn die Funktion $f(z)$ in $z_{0}$ regulär ist, gilt die Reihenentwicklung

\begin{displaymath}
f(z) = \sum_{n=0}^{\infty} c_{n} (z-z_{0})^{n}.
\end{displaymath} (55)

Dieses sind Reihenentwicklungen, wie wir sie schon aus der reellen Analysis her kennen. Diese Entwicklungen gelten nur für ein bestimmtes Kreisgebiet $G$ um $z_{0}$ herum,

\begin{displaymath}
G = \{ z, \vert z-z_{0}\vert \leq R \}.
\end{displaymath}


Abbildung 15: Konvergenzgebiet der geometrischen Reihe.

Wenn $f(z)$ in $z_{0}$ singulär ist, müssen in der Reihenentwicklung auch Terme mit negativem Index $n$ auftreten. Wir setzen allgemein

\begin{displaymath}
f(z) = \sum_{n=-\infty}^{\infty} c_{n} (z-z_{0})^{n}.
\end{displaymath} (56)

Die Koeffizienten $c_{n}$ berechnet man am einfachsten, indem man beide Seiten durch $2 \pi i (z-z_{0})^{m+1}$ dividiert und ein Kreisintegral auf einem Weg $K$ um $z_{0}$ herum bildet,

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz \frac{f(z)}{(z-z_{0})^{m+1}} ...
...frac{c_{n}}{2 \pi i} \oint_{K}
\frac{dz}{(z-z_{0})^{-n+m+1}}.
\end{displaymath}

Mit Hilfe der Formeln (43) und (44) schließen wir,

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz \frac{f(z)}{(z-z_{0})^{-n+m+1}}
= \delta_{mn},
\end{displaymath}

und damit
\begin{displaymath}
c_{m} = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz \frac{f(z)}{(z-z_{0})^{m+1}}.
\end{displaymath} (57)

Die möglichen Werte für die Koeffizienten können noch weiter eingeschränkt werden. Hat $f(z)$ in $z_{0}$ einen Pol der Ordnung $k$, so ist offensichtlich die Funktion $f(z) (z-z_{0})^{k}$ in $z_{0}$ regulär, d.h. mit Hilfe der Formel (55)

\begin{displaymath}
f(z) (z-z_{0})^{k} = \sum_{n=0}^{\infty} c_{n}' (z-z_{0})^{n}
\end{displaymath}

oder
\begin{displaymath}
f(z) = \sum_{n=-k}^{\infty} c_{n} (z-z_{0})^{n},
\end{displaymath} (58)

d.h die Ordnung $k$ der Singularität gibt den negativen Startwert des Summations- Index an. Entsprechend schließt man für eine $j$-fache Nullstelle in $z_{0}$:
\begin{displaymath}
f(z) = \sum_{n=+j}^{\infty} c_{n} (z-z_{0})^{n}.
\end{displaymath} (59)

Residuum.
Als Besonderheit der Laurent- Entwicklung bemerken wir, daß

\begin{displaymath}
c_{-1} = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz f(z) = Res_{z=z_{0}} \{ f(z) \}
\end{displaymath} (60)

ist, d.h. der erste negative Koeffizient der Reihenentwicklung um den Punkt $z_{0}$ ist gleich dem Kreisintegral der Funktion $f(z)$ um $z_{0}$. Diesen Sachverhalt kann man ausnutzen, um Kreisintegrale zu berechnen. Der Koeffizient $c_{-1}$ hat einen besonderen Namen, nämlich das Residuum von $f(z)$ an der Stelle $z_{0}$.

Besitzt $f(z)$ an der Stelle $z=z_{0}$ einen $k-$fachen Pol, dann kann das Residuum an dieser Stelle mit der Formel

\begin{displaymath}
c_{-1} = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz f(z)
= \lim_{z \to...
...}} \frac{1}{(k-1)!} \left[ f(z) (z-z_{0})^{k}
\right]^{(k-1)}
\end{displaymath} (61)

berechnet werden. Der Index $(k-1)$ an der eckigen Klammer bedeutet wie üblich eine $(k-1)$-fache Ableitung. Diese Formel folgt sofort aus (58), was wir in der Form

\begin{displaymath}
f(z) (z-z_{0})^{k} = \sum_{n=0}^{\infty} c_{n-k} (z-z_{0})^{n}
\end{displaymath}

schreiben können.

Falls der Integrationsweg $K$ mehrere singuläre Stellen $z_{1}, z_{2}, ..., z_{m}$ einschließt, mit den Ordnungen $k_{1},k_{2},...,k_{m}$, so gilt nach Formel (51):

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz f(z) = \frac{1}{2 \pi i} \sum_{\nu=1}^{m}
\oint_{K_{\nu}} dz f(z)
\end{displaymath}


Abbildung 16: Residuum von mehreren singulären Punkten.

Handelt es sich dabei ausschließlich um Pole $z_{\nu}$ mit den Ordnungen $k_{\nu}$, so gilt die zu (61) verallgemeinerte Formel

\begin{displaymath}
c_{-1} = \frac{1}{2 \pi i} \oint_{K} dz f(z) = \sum_{\nu=1}^...
...)!} \left[ f(z) (z-z_{\nu})^{k_{\nu}}
\right]^{(k_{\nu} -1)} .
\end{displaymath} (62)

Beispiel.
Die Funktion

\begin{displaymath}
f(z) = z + \frac{1}{(z-z_{0})^{3}} + \frac{1}{z}
\end{displaymath}

mit $z_{0} \neq 0$ hat an der Stelle $z=z_{0}$ einen dreifachen und an der Stelle $z=0$ einen einfachen Pol. Die Grenzwerte sind
$\displaystyle \frac{1}{2!} \lim_{z \to z_{0}} [ f(z) (z-z_{0})^{3}]^{(2)}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 1$  
$\displaystyle \lim_{z \to 0} [ f(z) z ]^{(0)}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 1$  

Die Kreisintegrale auf den Wegen $K_{z_{0}}$ um $z_{0}$ und $K_{0}$ um $z=0$ sind daher

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{z_{0}}} dz f(z) = \frac{1}{2 \pi i}
\oint_{K_{0}} dz f(z) = 1.
\end{displaymath}

Das Kreisintegral auf dem Weg $K_{z_{0},0}$ um beide Singularitäten ergibt

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{z_{0},0}} dz f(z) = 2.
\end{displaymath}

Beispiel.
Die Funktion

\begin{displaymath}
f(z) = \frac{z^{2}}{(z-z_{1}) (z-z_{2})}
\end{displaymath}

mit $z_{1} \neq z_{2}$ hat je einen einfachen Pol in $z_{1}$ und $z_{2}$. Die Residuen in den beiden Polen sind
$\displaystyle Res_{z=z_{1}} \{ f(z) \}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{z_{1}^{2}}{z_{1}-z_{2}}$  
$\displaystyle Res_{z=z_{2}} \{ f(z) \}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{z_{2}^{2}}{z_{2}-z_{1}}$  

Das Kreisintegral auf einem Weg $K_{z_{1},z_{2}}$ um beide Singularitäten ist daher

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{K_{z_{1},z_{2}}} dz f(z) = z_{1} + z_{2} .
\end{displaymath}

Beispiel. Die Integration mittels der Residuenformel kann ausgenutzt werden, um Integrale auf der reellen Achse zu berechnen. Wir wollen dieses Verfahren an einem Beispiel erläutern. Die Funktion

\begin{displaymath}
f(z) = \frac{1}{1+z^{4}}
\end{displaymath}

besitzt je einen einfachen Pol bei
$\displaystyle z_{1,2}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\sqrt{2}} ( \pm 1 + i)$  
$\displaystyle z_{3,4}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\sqrt{2}} ( \pm 1 - i)$  


Abbildung 17: Pole der im Text behandelten rationalen Funktion.

Wir wählen einen Integrationsweg $W$ um die beiden Pole $z_{1}$ und $z_{2}$. Dieser Weg $W$ besteht aus einem Halbkreis $W_{R}$ mit Radius $R$ und einem Weg $W_{X}$ längs der Reellen Achse. Mit Hilfe der Residuenformel erhalten wir

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \oint_{W} dz f(z) = \frac{1}{\sqrt{2} i},
\end{displaymath}

oder, da $W=W_{X} + W_{R}$,

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \int_{-R}^{R} dx f(x) + \frac{R}{2 \pi } \...
...arphi e^{i \varphi} f(R e^{i \varphi}) = \frac{1}{\sqrt{2} i}.
\end{displaymath}

Da $f(z)$ eine 4-fache Nullstelle im Unendlichen besitzt , verschwindet offensichtlich das Integral über den Halbkreis für $R \to \infty$. In demselben Maße wie das Integral auf $W_{R}$ kleiner wird für wachsendes $R$, vergrößert sich der Wert des Integrals auf der reellen Achse. Im Grenzfall gilt offensichtlich

\begin{displaymath}
\frac{1}{2 \pi i} \int_{-\infty}^{\infty} dx \frac{1}{1+x^{4}}
= \frac{1}{\sqrt{2} i}
\end{displaymath}

oder

\begin{displaymath}
\int_{-\infty}^{\infty} dx \frac{1}{1+x^{4}} = \sqrt{2} \pi.
\end{displaymath}

Schlussbemerkung
Damit wollen wir die Behandlung der komplexen Funktionen beenden. Wenn Sie alles verstanden haben, wissen Sie etwas mehr, als im Folgenden benötigt wird. Schaden kann das allemal nicht. Die Theorie der komplexen Funktionen (Funktionentheorie) ist nach meinem Geschmack eines der interessantesten Gebiete der Mathematik.





Harm Fesefeldt
2006-04-03